Mit der Ausstellung „Iz dnevnikov nekega miniaturista“ („Aus den Tagebüchern eines Miniaturisten“) in der Galerie Srečišče im Hostel Celica in Ljubljana zeigt uns der Maler Mirko Malle keine neue Art von Kunstwerk, er präsentiert uns kein bis auf den letzten Punkt ausgearbeitetes Bild, in dem wir die Umrisse einer neuen figuralen Kunst oder eines neuen Hyperrealismus erkennen könnten. Darin findet sich keine Spur des abstrakten Expressionismus oder des etwas konkreteren Impressionismus, der Assemblage oder des Neodadaismus, der Pop- oder Op-Art, des Kinetismus, Konzeptualismus oder gar eines völlig neuartigen Konkretismus – er präsentiert darin all das und mehr als im theoretischen Diskurs eingefangen, in den Klammern und Rahmen der Begrifflichkeiten umschlossen und über die Grenzen der „–ismen“ hinweg erfasst werden kann. Vielmehr zeigt uns Malle Bruchstücke seiner eigenen Welt, überlässt sie uns und überlässt es gleichzeitig ihnen, sich zu einem neuen Ganzen zu vereinen.
Das Tagebuch des Miniaturisten besteht aus mannigfaltigen Schichten: von den kreisförmigen Miniaturen, den täglichen kreativen Aufzeichnungen eines ganzen Jahres, in denen sich eine außergewöhnliche Kunstfertigkeit verbirgt, über gezeichnete Tagebücher aus dem österreichischen Bundesheer, bis hin zu verschiedensten Recycling-Arbeiten – Collagen, die nicht nur so nebenher, sondern auch am Willen des Autors vorbei entstanden sind, quasi Begleiterscheinungen der Kreativität, denen ansonsten keinerlei Aufmerksamkeit zuteil kommt, es sei denn es geht darum sie so rasch wie möglich zu bereinigen und wegzuwischen. Hier aber kehren diese Randprozesse des Malens aus der Vergessenheit in das Zentrum der Ausstellung zurück. Dieses Spiel mit dem Zufall erinnert vielleicht an die gestische Malerei eines Jackson Pollock, jedoch war der amerikanische Expressionist, der seine Bilder nicht an der Wand, sondern am Boden malte, immer noch Hauptakteur in allen künstlerischen Prozessen. Hier jedoch sammelt der Künstler immer wieder auch das, was ihm und seinen Schülern bereits über den Rand des Bildes hinaus entglitten ist, ja mehr noch, er interessiert sich auch für das was entsteht, wenn über einem Papier eine Batikarbeit trocknet, er liest auch jene Blätter auf, in die andere die Farbe von ihren Händen oder Pinseln wischen. Schließlich ist der Handabdruck seit den ersten Höhlenmalereien der zentrale Anstoß des Kunsthandwerks. Aus der Collage entsteht so eine Anhäufung von Recycling-Arbeiten. Diese Farbökologie und die fortwährende Wiederverwertung, die nicht nur über den Rahmen des Bildes hinausreicht, sondern auch alle anderen Grenzen in Frage stellt, schaffen neue Verhältnisse, in welchen die Trennlinie zwischen Bild und Konzept verwischt, wenn nicht sogar komplett weggewischt wird.
Die Miniaturen entstehen in einer besonderen Stimmung der Konzentration, Meditation und Kontemplation, in welcher der erste Strich, der mehr unbewusste Regung als Resultat bewusster Überlegungen ist, alle anderen Bewegungen einlädt, sich ihm anzunähern. Die sich so öffnende Perspektive ist nicht mehr nur eine äußere, sondern eine innere, sie ist nicht linear, sondern kreisförmig, sie wird nicht vom Punkt bestimmt, sondern die Kreisform ist entscheidend, geradezu erlösend der Kreis als Ganzes. Die Geometrie im Hintergrund ist weder euklidisch noch nicht-euklidisch, der Fluchtpunkt muss schwach bleiben und darf nicht durch einen starken ersetzt werden, auch wenn uns mittlerweile auf jedem Schritt ein neuer Power Point angeboten wird. Mirko Malle verharrt in dieser Position und schafft einen kleinen Raum, der einer Zelle oder einem Planeten ähneln kann, je nach dem von welcher Seite wir ihn betrachten, ob durch ein Mikroskop oder ein Teleskop – am besten aber nähern wir uns alldem mit freiem Auge und befreitem Herzen. Die Planeten sind klein genug, um neuen kleinen Prinzen Herberge zu bieten, die Zellen groß genug, um zu Quellen neuen Lebens zu werden, und zwischendurch kann man den Samen für das Aufkeimen neuen kreativen Eifers finden. Der Maßstab ist hier nicht mehr von Bedeutung, wichtig ist die Dichte und Qualität der Verhältnisse der Farbverflechtungen und Formdurchdringungen, durch die sich neue Welten wie Blüten öffnen. Dem meisterhaften Eintauchen, Vergießen und Trocknen der Farben in diesen kleinen Aquarellen, über unzählige Schichten und einige Finten hinweg, kann als Betrachter nur folgen, wer sich seiner Eitelkeiten entledigt und die neugewonnen Eindrücke mit dem richtigen Maß an Phantasie begießen kann. Die Miniaturen mit Gefühl für Minimalismus könnten nach langer Zeit wieder zu Initialen einer neuen Initiative ohne Initiation werden. Der aktiv angesprochene Betrachter kann dabei fast nicht passiv bleiben. Seine Aufgabe im Ausstellungsraum ist es nicht nur, sich zu re-generieren, sondern er soll mit-generieren – natürlich nicht durch Mitwirkung am Aufbau der Ausstellung, auch nicht durch eigenständige Ergänzung der Bilder, sondern durch die Darstellung und eigene Vorstellung von der in dieser Ausstellung geschaffenen Welt, die jedem auch noch so kleinen Bild, von den breitesten Kreisen bis hin zum letzten Pünktchen zugrunde liegt.
Eine solche Offenheit in der Struktur verlangt ein hohes Maß an kreativem Mut und Selbstvertrauen, das die Freude am Malen nicht nur als konzeptuelle Annehmlichkeit oder erleichternden Umstand sieht, besonders heute, nachdem sich Bild und Konzept, Gestalt und Idee, Gegenstand und Zeichen fast ein Jahrhundert lang auf Leben und Tod bekämpft haben. Die klassische Haltung des Autors, der wie ein Demiurg alles vom ersten bis zum letzten Pinselstrich kontrolliert, aufzugeben, fiel nicht einmal den Helden der modernen Malerei von Picasso bis Duchamp leicht – weder auf dem Gebiet des Bildes noch im Konzeptuellen – und das trotz der radikalen Veränderungen und revolutionären Umkehrungen ihrer Zeit. Deshalb ist eine bewusste Lockerung der Spannung auf beiden Polen dieses Feldes umso wichtiger. Vielleicht ist es kein Zufall, dass im slowenischen Raum der Maler Žiga Okorn und der Bildhauer Jiri Kočica in eine ähnliche Richtung arbeiten. Wie sie Grenzen zwischen Bild und Realität verwischen, haben sie bereits in ihrer Diplomarbeit im Bootshaus des Parkes Tivoli sowie beim Malen vor Ort im Open-Air-Ausstellungsraum an der Jakopič-Promenade und auch als künstlerische Masterminds hinter dem Hostel Celica gezeigt.
Mirko Malle stellt in der Galerie Srečišče seine zellenartigen Miniaturen und Recycling-Collagen aus, am Gang des Hostels sind Zeichnungen von Musikern zu sehen, die er während seiner Besuche bei den Musikertreffen „Sozvočje sveta“ angefertigt hat. In diesen zeigt sich nicht nur sein außergewöhnliches Talent in der Darstellung von Persönlichkeiten und Charakterzügen, sondern auch ein tiefgehendes Gefühl für Musik, deren Stimmungen im Rhythmus und der Melodie seiner Pinselstriche immer wieder aufs Neue zum Vorschein kommen. In der Celica stellte er bereits seine musikalische Installation „Harmonija sfer“ („Sphärenharmonie“) aus, die ursprüngliche Umsetzung des Farbdirigierens, das im Einklang mit der pythagoräischen Philosophie Bild und Musik, Darstellung und Klang vereint. Gemeinsam mit der internationalen Künstlergruppe AAI- Articulacion Artistica Internacional präsentierte er im Garten des Celica erstmals seine Lichtkörper, die den Betrachter mit ihrer lebendigen Farbenpracht anziehen. Berührt man die Oberfläche dieser Objekte, kommt aus der Tiefe der Farben ein Lied ans Licht, durch welches das Bild erst vervollständigt wird. Eine weitere außergewöhnliche und originelle Geste, mit der Malle die Grenzen des bereits Gesehenen und des Sichtbaren erneut überschreitet.
JANKO ROŽIČ, Übersetzt von Julija Schellander-Obid